Lasst uns offen über Depressionen sprechen als wäre es der Kreuzbandriss der Seele”

Wir haben uns sehr gefreut, dass sich Tilman Zychlinski, Stiftungsmanager der Robert-Enke-Stiftung, Zeit für uns genommen hat und einige Fragen zur Arbeit der Stiftung beantwortet hat.

Erzählt uns am Anfang doch bitte etwas über die Arbeit der Robert-Enke-Stiftung.

Die Stiftung differenziert im Hinblick auf ihre Arbeit im Bereich Depression zwischen dem Sektor „Leistungssport“ sowie der „Volkskrankheit Depression“. Im Bereich der Kinderherzkrankheiten geht es zunächst darum, durch Pilotprojekte strukturelle Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Darüber hinaus arbeitet die Robert-Enke-Stiftung sowohl als operativ tätige Stiftung, die ihre Ziele mit eigeninitiierten Projekten verfolgt, als auch als fördernde Stiftung, die es Außenstehenden ermöglicht sich mit Projektanfragen, die einen direkten Bezug zu den Stiftungszwecken beinhalten, an die Stiftung zu wenden, um für die Umsetzung der Vorhaben finanzielle Unterstützung zu erhalten.

 

Wie hat sich der Umgang mit Depression in den vergangenen Jahren im Leistungssport, insbesondere im Profifußball, aus eurer Sicht entwickelt?

 

In diesem Bereich entwickelt sich effektiv etwas. Sehr gut ist uns noch Sebastian Deisler in Erinnerung (Deisler hat seine Profikarriere 2007 beendet, Anmerkung Red.). Er ging als Profifußballer sehr offen mit seiner Depression um, die Reaktion und Unterstützung seines Vereins war durchweg positiv, Sebastian erhielt schnelle therapeutische Hilfe. Ganz anders jedoch die öffentliche Meinung: Hier galt er als Psycho, es gab kein Verständnis für Depression als Krankheit.

Dies war maßgebend dafür, dass Robert Enke sich mit seiner Depression nicht an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Die gängige Meinung war: Man darf nicht schwach sein. „Schwäche zu zeigen ist auch eine Stärke“ - so das geflügelte Wort. Dabei ist Depression keine Schwäche, es ist eine Krankheit.

Viele Weltklasseathleten wie Gianluigi Buffon oder Andres Iniesta sprechen heute offen über ihre Krankheit, wissen dass sie eine Behandlung brauchen, und sie kommen danach wieder, werden wie  diese beiden sogar Fußballweltmeister.

 

In der Vorbereitung sind wir auf ein Interview von Dennis Hoins (VfB Lübeck) gestoßen, der aufgrund einer Depression seine Profikarriere letztes Jahr beendet hat. Bewegt hat uns seine Aussage: „Wenn der Kopf nicht mehr will, hat der Körper keine Chance“. Für die Robert-Enke-Stiftung hält auch häufig der Ex-Profispieler Martin Amedick (u.a. Eintracht Frankfurt) Vorträge. Ist es wichtig, dass Fußballer offen über ihre  Erkrankung sprechen? Gibt es auch Angst vor Stigmatisierung?

 

Ja, denn nach wie vor herrscht oftmals zu wenig Wissen über die Krankheit – bei den Nicht-Betroffenen! Daher ist es unser großes Anliegen, die 80% unserer Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren, die das große Glück haben, von dieser Krankheit verschont geblieben zu sein. Daher sind Initiativen wie beispielsweise die Vortragsreihe von Martin Amedick in den Nachwuchsleistungszentren so wichtig, um das Wissen auch schon bei jungen Athleten zu erweitern.

 

Uns hat längere Zeit das Thema Depression im Nachwuchsfußball beschäftigt. Manche Spieler sind in jungen Jahren schon enormen Erwartungen und Erfolgsdruck ausgesetzt. Auch deshalb ist eine sportpsychologische Betreuung für Nachwuchsleistungszentren mittlerweile Pflicht. Wie arbeitet Ihr das Thema mit Jugendfußballern auf?

 

Vorab möchten wir eine wichtige Unterscheidung machen: Erfolgsdruck, Leistungserwartungen gehören unabdingbar zum Spitzensport. Ja, sie können durchaus ein Katalysator für die Entwicklung einer psychischen Störung sein, was in einigen Fällen auch zu einer Depression führen kann. Daher begrüßen wir ausdrücklich die verpflichtende Anstellung von Sportpsychologen/Innen in den NLZ, um den Nachwuchs auf alle psychischen Belastungen, die in diesem Setting stattfinden, vorzubereiten. Die Resilienz lässt sich auf trainieren: Wie gehe ich damit um, wenn ich das dritte Mal auf der Bank sitze? Wie kann ich Fußball, Schule und Freundeskreis miteinander vereinbaren? Wie gehe ich mit einer schweren Verletzung um? Wie kann ich meine Wettkampfängste in den Griff bekommen?

Die Robert-Enke-Stiftung würdigt mit dem Förderpreis Seelische Gesundheit im Nachwuchsleistungssport genau solche Aktivitäten und Projekte von Vereinen und anderen Sportorganisationen:

Robert-Enke-Stiftung Förderpreis 2020 - Preisträger Handball-Akademie Flensburg - YouTube

Robert-Enke-Stiftung Förderpreis 2019 - 1.Preisträger Olympiastützpunkt Berlin - YouTube

 

Was sind eure Wünsche für die Robert-Enke-Stiftung in der Zukunft?

 

Wir verfolgen mit unserer Stiftungsarbeit im Grunde eine Vision: Lasst uns offen über Depressionen sprechen als wäre es der Kreuzbandriss der Seele, wo jeder weiß: Ok, auch diese Verletzung ist gut behandelbar.