“Eine Krankheit, die nichts mit Schwäche zu tun hat”

Wir haben in unserer kleinen Runde lange Zeit darüber diskutiert, wie man ein Gespräch über Depression beginnt. Einerseits möchte man nichts falsch machen oder beschönigen, andererseits auch nicht schweigen. Deshalb die Frage an euch, wie spricht man über Depression?

 

Bündnis:

Die Stichworte wären: Offenheit, Ich-Botschaften, keine Vorwürfe, Hilfe anbieten.

Das bedeutet, offen anzusprechen, dass man sich Sorgen macht, dass einem Veränderungen – Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Schlaflosigkeit, anderes Essverhalten, emotionaler Rückzug - aufgefallen sind. Das bedeutet anzusprechen, wenn man den Eindruck hat, dass z.B. der Partner zwar im Job anscheinend noch funktioniert, aber er zu Hause nichts mehr auf die Reihe bekommt: also zum Beispiel mit den Jungs nicht mehr im Garten Fußball spielt und auf entsprechende Fragen abweisend reagiert; die Post nicht öffnet und auch wichtige Schreiben beispielsweise des Finanzamts nicht beantwortet werden, Erledigungen ständig aufschoben, Verabredungen mit den Kumpels nicht eingehalten werden oder sich auch emotional von Angehörigen abgekapselt wird.

Nun einmal zu euch. Unser Kontakt ist Anfang 2019 entstanden und gemeinsam haben wir den Info- und Themen-Abend “Fortuna Fans gegen Depression” organisiert. Erzählt uns doch noch einmal, was ist das Düsseldorfer Bündnis gegen Depression?

 

Bündnis:

Das Düsseldorfer Bündnis gegen Depression ist eine Gemeinschaftsinitiative der Akteure der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung in Düsseldorf. Solche Bündnisse gegen Depression gibt es in vielen Städten. Sie alle basieren auf einem Konzept das sich in einem Forschungsprojekt als wirksam erwiesen hatte. Dabei ging es um ein Zusammenspiel verschiedener kommunikativer Maßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen, d.h. um Aufklärung über Depression und Information zu den Hilfsangeboten, mit dem Ziel, suizidale Handlungen dadurch zu verhindern, dass die Sensibilisierung für das Thema zu einer veränderten Inanspruchnahme des Versorgungssystems führt.

Entsprechend leisten wir in Düsseldorf Aufklärungsarbeit zu Symptomen, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten, engagieren uns, insbesondere durch Ärztefortbildungen, für Früherkennung und eine bessere Versorgung, bekämpfen Vorurteile zur Verbesserung der Behandlungschancen und sensibilisieren für das mit Depressionen einhergehende Suizidrisiko und engagieren uns in der Suizidprävention. Der Abend für die Fortuna-Fans war eine solche Aktion.

Eine häufige Frage, die wir uns stellen, lautet, wie man das eigene Umfeld - Freunde, Bekannte oder Familie - für das Thema Depression sensibilisiert. Wie ist da euer Ansatz?

 

Bündnis:

Indem wir dafür sensibilisieren, vor allem auf ein verändertes Verhalten zu achten, das sich in bestimmten Symptomen manifestiert.

Indem wir deutlich machen, dass es eine Erkrankung ist, die jeden treffen kann und nichts mit Schwäche zu tun hat und, dass sie unbehandelt lebensgefährlich sein kann.

Und wir vermitteln, dass es Hilfe gibt, man aber häufig dem Betroffenen helfen muss, diese Hilfe auch in Anspruch zu nehmen. Hier ist jeder in der Verantwortung!

Es sind im Übrigen meist Freunde oder Angehörige, die sich mit dem Verdacht auf eine Depression an das Bündnis wenden und fragen, ob sie mit ihrer Vermutung richtig liegen und was sie tun können, wer im Hilfesystem, wofür zuständig ist, was die richtigen Schritte sind, z.B. um einen Termin beim Therapeuten zu bekommen.

Die Eindämmung von sozialen Kontakten, Ausgangsbeschränkungen oder Homeoffice - die Folgen der Corona-Pandemie schränken uns alle sehr ein. Wie groß sind die Auswirkungen auf Menschen, die unter Depression leiden?

 

Bündnis:

Die soziale Isolation unterstützt die mit der Erkrankung per se verbundene Tendenz, sich aus sozialen Kontakten zurückzuziehen. Arbeitskollegen trifft man nur punktuell in Videokonferenzen, aber nicht mehr an der Kaffeemaschine. Die Tagesstruktur eines „normalen“ Arbeitsalltags, die der Antriebslosigkeit bis zu einem gewissen Grad entgegenwirkt, geht im Homeoffice häufig verloren. Das bedeutet, solche depressiven Symptome bis hin zu Suizidgedanken, entwickeln und verstärken sich unter Corona-Bedingungen eher im Verborgenen. Hinzu kommt, dass therapeutische Angebote nur eingeschränkt (keine Gruppentherapien) und unter erschwerten Bedingungen (Psychotherapie mit Maske) zur Verfügung stehen. Ergänzende Unterstützungsmaßnahmen wie Selbsthilfe-Treffen oder unsere Angebote „Singen macht Freu(n)de“ und „Laufen macht Freu(n)de“ dürfen im Moment nicht stattfinden. Es scheint, dass häufiger Klinikaufenthalte erforderlich werden.

Das Ausmaß der Folgen dieser corona-bedingten Situation werden wir wahrscheinlich erst mit einer gewissen Verzögerung sehen.

Wenn ich mich schon seit einiger Zeit schlecht und antriebslos fühle, auf welche Symptome sollte ich achten? Und welche Schritte sollte ich gehen, wenn ich das Gefühl habe, nicht alleine aus meiner Situation zu kommen?

 

Bündnis:

Nicht alle, die an einer Depression erkranken, leiden unter denselben Symptomen. Nicht immer muss die depressive Verstimmtheit im Vordergrund stehen: Bei manchen überwiegen der fehlende Antrieb und Schwung, bei anderen eine rastlose innere Unruhe. Oft kommt es zu Schlafstörungen und vielfältigen körperlichen Beschwerden. Auch geht das Interesse an Sexualität verloren.

Neben ausgeprägter Freud- und Gefühllosigkeit mit innerer Leere kommt es häufig zu Konzentrationsstörungen und manchmal auch zu beklemmender Angst. Der Schweregrad ist unterschiedlich, bis hin zum völligen Unvermögen, den normalen Alltag zu bewältigen. Bei gedrückter Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit und Antriebsminderung über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen solltest Du unbedingt abklären lassen, ob bereits eine depressive Episode vorliegt.

Die nachfolgende Auflistung gibt Dir einen Überblick über mögliche Ausdrucksformen einer depressiven Störung:

Bei Verdacht auf eine sich entwickelnde oder bereits manifestierte Depression solltest Du zunächst mit dem Hausarzt reden, der im ersten Schritt mögliche organische Ursachen, wie eine Schilddrüsen-Unterfunktion, für die Symptome ausschließen wird. Im nächsten Schritt sollte ein Psychiater die Diagnose stellen und die Ausprägung der Depression bestimmen. Daraus ergibt sich dann eine Therapieempfehlung - Psychotherapie und ggf. Medikamente. Auch wird der Arzt gemeinsam mit Dir überlegen, welches therapeutische Setting (ambulant, tagesklinisch oder stationär) am besten geeignet ist. Bei einer hoch-akuten Situation, die mit drängenden Suizidgedanken einhergeht, solltest Du in einer Notfallambulanz vorstellig werden. Wenn Dir die Kraft fehlt, selbst aktiv zu werden, scheue Dich nicht einen Angehörigen oder Freund um Hilfe zu bitten.

Wechseln wir einmal die Perspektive: Wenn ich bei einem Freund Symptome einer Depression erkenne - er wirkt zum Beispiel niedergeschlagen, hat offensichtlich seinen Optimismus verloren, zweifelt an sich und seinen Fähigkeiten, begegnet mir mit leerem Blick und hängenden Schultern, beteiligt sich nicht mehr an gemeinsamen Aktivitäten oder sagt kurzfristig ab - wie sollte ich hier vorgehen? Was könnt ihr aus eurer Erfahrung raten?

 

Bündnis:

Wie eingangs gesagt, unbedingt ansprechen!

Mir fällt auf, dass Du so niedergeschlagen bist Ich mach‘ echt mir Sorgen:

Du hast Dich so verändert, kommst nicht mehr mit zum Fußball, redest davon, dass …

Ich befürchte, dass Du in eine Depression rutscht. Lass Dir helfen! Ich bin für Dich da und unterstütze Dich gern, zum Beispiel, wenn es darum geht, herauszufinden, an wen Du Dich am besten wenden kannst, damit Dir geholfen wird.


Was kann man gegen Depression machen?

Bündnis:

Depressionen können in der Regel gut behandelt werden. Mit einer Psychotherapie bekommt man leichte bis mittelschwere Depressionen gut in den Griff. Nur bei einer schweren Ausprägung sind Medikamente unverzichtbar. Manchmal macht es Sinn, auch bei einer nicht ganz so schweren Form für eine gewisse Zeit Antidepressiva zu geben, z.B. bei Schlafstörungen und um den Antrieb zu verbessern, damit jemand überhaupt in die Lage versetzt wird, regelmäßig Termine für Therapiesitzungen wahrzunehmen.


Depressionen können in einem Suizid enden, da die betroffenen Menschen keinen Ausweg finden. Wenn ein Freund Suizidgedanken äußert oder ich selbst Suizidgedanken habe, was sollte ich tun?

Bündnis:

Auch hier gilt: Darüber reden hilft!

Ein wiederholtes Gefühl oder die Äußerung „Ich kann nicht mehr!“ sollte immer als Warnsignal ernst genommen und professionelle Hilfe gesucht werden. Was im Einzelnen zu tun ist, hängt davon ab, wie konkret die Suizidgedanken sind, d.h. gibt es schon konkrete Pläne (wann, wo und wie) und Vorbereitungen (z.B. gehortete Tabletten). Das solltest Du bei Deinem Freund versuchen herausfinden und auch darüber reden, ob ihr gemeinsam einen anderen Ausweg als den unwiderruflichen Schritt in die Selbsttötung finden könnt. Dazu muss die ausweglos erscheinende Situation analysiert und andere Optionen und insbesondere Gründe, weiter zu leben, besprochen werden. Und natürlich gilt, je konkreter seine resp. Deine eigenen Suizidgedanken sind, umso dringender ist es, sich in der Notfallambulanz einer psychiatrischen Klinik Hilfe zu holen. Wenn der Freund nicht bereit ist, sich mit Deiner Unterstützung Hilfe zu holen, dann bleibt nur die Möglichkeit, über den Sozialpsychiatrischen Dienst (die kommen bei einem entsprechenden Notruf ins Haus) bzw. außerhalb der Dienstzeiten die 112 anzurufen und den Grad der Suizidalität einschätzen zu lassen. Der SpDi oder der Notarzt veranlassen dann entsprechende Schritte zum Schutz Deines Freundes.

Was sind eure Wünsche für die Zukunft des Bündnisses?

Bündnis:

Wir würden natürlich gern mehr machen. Insbesondere weil das Thema Suizidprävention in der Politik nicht den Stellenwert hat, den es angesichts der Zahl der Suizide haben müsste, und Suizidalität in der Gesellschaft weitgehend tabuisiert wird.

Aber wie so oft, hängt es auch am Geld, dass wir primär nur am Weltsuizidpräventionstag mit einer Aktion auf das Thema aufmerksam machen können.

Vielen Dank für das Interview!